Jess hat geschrieben:Ich bin jedoch der Meinung dass es einfach ist das Leben am Anfang gar nicht erst richtig entstehen zu lassen, als das Kind Jahrelang um sich zu haben es zu lieben, von ganzem Herzen, denn ein krankes Kind gibt so viel mehr Lebensenergie, Freude und Herzlichkeit weiter als man es vielleicht von gesunden gewohnt ist.
Zu dieser Diskussion könnte ich Romane beitragen, immer aber auch das Gefühl, auf unsicherem Terrain zu sprechen. Aber der von mir hervorgehobene Teilsatz oben, Jess, bringt mehr als viele andere Worte meine eigene Überzeugung zum Ausdruck: ein Leben mit CF "lohnt" sich wie jedes andere Leben auch! Vielleicht wäre ich anderer Meinung, wenn wir heute noch die Situation von vor 60 Jahren hätten. Damals kamen Menschen mit CF kaum aus dem Kindesalter heraus, da hätte ich es wirklich verstehen können, wenn einem jedes Mittel recht gewesen wäre, ein solches Leben bloß schon von vornherein "abbiegen" zu können.
Aber heute ist die Situation eben schon anders. Gerade auch Du, Jess, hast mir in meiner Anfangszeit durch Dein so von mir wahrgenommenes Freudestrahlen in den Worten (auf eMaillisten z.b.) immer das Bild eines lohnenden Lebens vermittelt. Der Lohn, von dem ich spreche, ist das Lebensgefühl, die Lebensfreude, die jemand empfindet. Ich glaube doch wohl nicht, dass Du dies alles nur gespielt hast, um dieses Bild anderen zu vermitteln, oder?
Heute leben wir in einer komplexen Situation: auf der einen Seite verfügen wir über diagnostische Mittel, eine CF oder eine andere "Erbkrankheit" (ich mag den Ausdruck bekanntlicherweise nicht) überhaupt extrem frühzeitig aufzudecken (was diesen Thread überhaupt möglich macht) andererseits verfügen wir auch über die Mittel, die Folgen der CF abzumildern. Was klar ist: die Folgen der CF sind und bleiben wohl auf absehbare Zeit unheilbar und wirklich prekär.
Auf der anderen Seite sage ich mal ganz salopp: das Leben ist auch eine Krankheit, denn sie endet immer tödlich, und heute gibt es keinen "ursachenlosen" Tod mehr. Da kann der 95jährige Mensch noch so natürlich aus dem Leben geschieden sein, der Arzt wird dazu doch noch ein Diagnose finden, die den Eindruck aufkommen lässt, auch dies wäre wieder nur eine Krankheit gewesen (Herzversagen o.ä.). Ich weiß schon, dass der Vergleich schwer hinkt, und das mancher Mensch mit CF entrüstet darüber sein kann, sicherlich zu Recht. Ich will nur andeuten, dass ein Leben mit CF zumindest heutzutage einfach nicht mehr gleichzusetzen ist mit einem Leben, das man besser lieber erst gar nicht initiieren sollte, damit die Qualen erst gar nicht durchlebt werden müssen. Mancher wird es kaum für möglich halten, aber als ich noch ziemlich jung war, habe ich in Diskussionen mit meinem Vater immer gern meine "Philosophie" zum Besten gegeben, wonach es eigentlich viel klüger wäre, erst gar keine Kinder zu bekommen, denn wenn diese die schönen Momente des Lebens dann nicht erleben würden, könnten sie sich ja nicht darüber ärgern, weil sie ja nicht existierten... umgekehrt würde ihnen jede Qual des Lebens erspart bleiben (und welches menschliche (also seiner selbst bewusste) Leben ist schon ganz ohne Qualen?!). Später wollte ich jahrelang tatsächlich keine Kinder, denn ich fand es ein Verbrechen, in diese Welt auch noch Kinder hineinzusetzen (und dazu noch, wo es doch sowieso schon so viele gibt!!). Irgendwann fiel mir in einer stillen Stunde aber wie Schuppen etwas von den Augen: gegen alle Vernunft, gegen alle Klugheit, will ich doch Kinder... einfach, weil ich Mensch bin. Und Menschsein ist mehr als die Summe von Klugheit und Vernunft und anderer Tugenden...
Es gibt Gebiete auf der Erde, in denen es schon viel zu viele Menschen gibt und viel zu wenig Güter, diese zu ernähren. Hunderte Millionen Kinder leben im Zustand extremer Unterernährung. Die Eltern können diesen Zustand absehen. Ich würde mir nicht anmaßen, denen "Dummheit" zu unterstellen, weil sie trotzdem Kinder bekommen. Sie folgen einfach ihrem Menschsein und wahrscheinlich wäre es eher "dumm", wenn sie dem nicht folgen würden.
In einigen hundert Jahren ist unser aller Leben Schall und Rauch (eher noch weniger!). Es spielt keine Rolle, ob wir Bill Gates, George Bush, Angela Merkel oder aber jemand sind, der keine "Bedeutung für die Allgemeinheit" besitzt. Wenn das so ist, wenn es an sich so unbedeutend ist, ob wir leben oder nicht leben, dann kann es doch nur die Bedeutung sein, die wir uns selbst geben, auf die es ankommt. Insofern ist es eben richtig, wenn wir nicht über das Leben anderer urteilen. Mein Sohn Julian wird seinem Leben mal eine Bedeutung geben müssen, so wie ich das heute für mein Leben tue. Ich habe nicht das Recht, aber vor allem auch gar nicht die wirkliche Möglichkeit, die Bedeutung seines Lebens zu bestimmen! Das ist der Punkt, der mir wichtig erscheint.
Insofern macht auch die Regelung Sinn, wonach die Mutter selbst die Entscheidung über die Bedeutung für ihr Leben zu suchen hat. Und insofern widerspreche ich auch einer "höheren" Bedeutung, wie sie Michael aufgrund seiner Glaubensherkunft annehmen will.
Naja, ich freue mich schon darauf, was mein Sohn mal so in vielleicht 12-14 Jahren hier in diesem Forum dazu sagen wird.
Liebe Grüße
Roland
P.S.: ich füge nochmal hinzu, dass wir uns für ein drittes Kind entschieden hatten. Eine Amniozentese hatten wir gewünscht, um zu wissen, woran wir sind, nicht aber dazu, um eine Entscheidung für oder gegen das entstehende Leben zu steuern. Wir waren gleichzeitig der Meinung, jeder soll und darf es für sich entscheiden. Eben keine moralische Keule damit schwingen!