nonadjustedalpha hat geschrieben:Bei dem Erfolg von Psychotherapie kommt es immer auf die Therapieschule an.
Die folgenden Bemerkungen sind sehr ausführlich. Nur der geneigte oder betroffene Leser möge sie sich überhaupt zuführen

Auf http://de.wikipedia.org/wiki/Depression wird u.a. erläutert, dass lt. einer Schätzung des Bundesgesundheitsministeriums gut 10 Mio. Menschen bis zum 65. Lebensjahr eine Depression erlitten haben. Grund genug für mich, auch hier nicht die Klappe zu halten

Hi Johannes,
ist klar, es gibt sicherlich völlige Blödsinnsschulen, die das Papier nicht lohnen, auf dem sie geschrieben sind, aber auf der anderen Seite glaub ich doch, dass das grundsätzlich UM-SICH-KÜMMERN eher entscheidend ist, während die "Schule" (z.B. Gestalttherapie, Psychoanalyse, positive Psychotherapie, Verhaltenstherapie, Workshops von traditionell bis wild) vielleicht doch eher zweitrangig ist, wenn man nicht gerade bei einem komplett ausgerastetem Guru gelandet ist, der meint, das Sternzeichen sei für Verhaltensweisen verantwortlich *fg*.
Ich oute mich mal an überraschender "Neuling", der vor 2 Monaten bemerkt hat, dass er selbst in einer handfesten Depression (allerdings glücklicherweise gänzlich ohne Selbstmordgelüste*) gelandet ist. Die Gründe dafür sind bei mir vielfältig und meine Privatangelegenheit, die ich also hier sicherlich nicht verbreite. Mittlerweile geht es mir wieder besser, und ich will auch meine Erfahrungen damit hier ruhig mal nennen...
Es gibt einige Arbeiten, die zeigen, dass wahrscheinlich eine extrem große Dunkelziffer an Menschen existiert, die eigentlich alle Zeichen einer Depression aufweisen, jedoch dies entweder selbst nicht bemerken oder (was noch schlimmer ist) in einer Praxis nicht ernstgenommen werden, wenn sie von ihrem Gefühl großer Traurigkeit berichten. Und groß sicherlich die Zahl der Menschen, denen einfach niemand mal die richtigen Fragen stellt!
Aus meiner eigenen Erfahrung möchte ich sagen, Carmen, dass ich eine reaktive Depression, sehr wohl für eine "richtige" Depression halten würde. Ist nicht diese reaktive Form vielleicht die gängigste? Ich denke schon, dass eben große und/oder länger andauernde Ereignisse im Leben für eine Außerbalancegeratung der Hirnphysiologie sorgen können. Außerdem ist das gängigste Modell, die sogenannte Kontinuitätshypothese: also erstens sind Manie ("überbordende", unangemessene Glücksgefühle) und Depression (starke (Episoden der) "Traurigkeit") voneinander nicht zu trennen, denn beide suggerieren etwas unreales (seligmachendes oder trauriges), aber auch die grundsätzliche Frage, ab wann so etwas das ist, wie wir es nennen wollen, im Grunde vom Krankheitsgefühl, vom Leidensdruck abhängt: der eine, der der Manie/Depression vielleicht verfallen ist, wird diese als solche gar nicht wahrnehmen, sondern eben der Meinung sein, das seien normale Färbungen seines Lebens, der andere empfindet diese Färbungen als Last, als Leiden, Krankheit ist Leiden, also geht er zum Arzt... so war es bei mir.
Der beste Weg zur Behandlung einer Depression ist die Kombination aus Psychotherapie und Medikament. Ohne Medikament ist es schwer, den Mut und den Mitarbeitswillen für die Psychotherapie aufzubringen. Ohne Psychotherapie ist es eher unwahrscheinlich, jemals wieder von den Medikamenten herunterzukommen. Beides keine guten Alternativen, es muss also zusammenwirken, ist auch evidenzbasiert übrigens, diese Aussage

Da leider das Warten auf den Psychotherapieplatz erheblich ist ("die Nachfrage ist z.Zt. seeehr groß", na sowas!), ist der klassische Weg, dass man zuerst ein Medikament bekommt...
Und da ich da selbst nicht unbedingt gleich die besten Erfahrungen gemacht hab, bin ich froh, wenn nur EIN Mensch davon profitieren kann, wenn ich die Ergebnisse meiner Nachforschungen und Erfahrungen zu diesem Thema hier also kundtue

Mein Internist (und Hausarzt) verstand ja recht schnell, dass ich tatsächlich an einer Depression litt. Nun, er ist kein Psychiater oder Neurologe, und so war er der Meinung, dass mein eines Symptom "Durchschlafstörung" (also das regelmäßige frühmorgendliche Erwachen) eher zu einem Medikament der sedierenden (=müdemachenden) Klasse führt. Das ist in meinen Augen (vor allem nach 6 Wochen der Erprobung) eine Fehleinschätzung, weil das frühmorgendliche Erwachen sowieso eines der zuverlässigsten Zeichen einer Depression darstellt und insofern als Kriterium für die Frage, ob das Medi eher aufmuntern oder einschläfern soll, dann nunmal NICHT taugt!
Leider bekam ich also den Klassiker... Der Name: Amitriptylin. Die Substanzklasse: Trizyklisches Antidepressivum, müdemachend aus Prinzip. Das ist die erste Klasse an Medikamenten gewesen, wirkt so ziemlich auf jede Form des Hirnstoffwechsels, macht SAUmüde, und mag dem helfen, den vielleicht ein gesteigertes Leistungsangebot in seinem Körper eher vor den Kopf stoßen würde. Mich hingegen, der eher einen gewissen (z.b. beruflich bedingten) Leistungshunger besitzt, FRUSTIERTE das eher. Da aber in der Beilage und in den Hinweisen des Arztes klar zu lesen war: "HABE GEDULD, vor in 4 Wochen kannst Du eh keine positive Wirkung erlangen"... hab ich 6 Wochen gebraucht, um zu verstehen, dass dieses Medikament für MICH NICHTS taugt. Die eingehende Lektüre der Wirkungsweise anderer Antidepressiva (ich rede von einer unipolaren Störung, also ohne manische Phasen) führte mich zu der Klasse der sogenannten reversiblen MAO-Hemmer. Ich hab sodann meinen Arzt schriftlich um ein neues Medikament gebeten (denn falsche Schüchternheit ist mir eher fremd

Diese hörte sich geduldig (und sehr klug nachfragend) meine ganze Geschichte an, und verstand sogleich, warum sich für mich (zudem als Mann) die SSRI's (=Serotonin-Wiederaufnahmehemmer) eher nicht so anboten... Denn diese haben, wenn auch beiweitem nicht immer, z.B. unangenehme Folgen auf die Potenz. Mir selbst misshagten sogar eher die an manchen Stellen im Internet ausführlich besprochenen "Absetzsymptome" (gut, vielleicht wird dieses Problem überbewertet, denn die Verschreibungszahlen sind wohl sehr hoch). Mir reichte, ehrlich gesagt, die, wenn auch seltene Aussicht auf langhaltende sexuelle Probleme völlig. Man ist ja kein Held...
Die Neurologin (ich tue mich echt schwer mit der anderen Berufsbezeichnung *harhar*) fand meinen Vorschlag (also der reversible MAO-Hemmer) gar nicht so schlecht. Und so nehme ich seit paar Tagen das Medikament "Moclobemid". Und ich muss sagen, endlich hab ich mal das Gefühl, wieder Boden unter den Füssen zu haben. Sehr schnell (!) habe ich das Gefühl gehabt, dieser unrealen Traurigkeit nicht mehr ausgeliefert zu sein, und zugleich konnte ich auch einen überprüfbaren Anstieg meiner Leistungsfähigkeit ganz klar wahrnehmen (währenddessen ich dem ursprünglichen Medikament "Amitriptylin" nunmehr das Prädikat "leicht verblödend" zuordnen würde. Dass ich auf das neue Medikament zunächst tatsächlich schlechter schlief, war mir dabei ziemlich egal. Und auch für Schlafstörungen gilt: erst, wenn Du sie als negativ und kräftezehrend EINKLASSIFIZIERST, werden sie zu einem Problem! Also erst der Stress über die Schlafstörung bereitet die Probleme! Die Schlafstörung an sich ist gar nicht so problematisch (Schlafentzug ist sogar eine Therapieform bei Depressionen, wenn auch nur kurz wirksam).
Wenn jemand ähnliche Probleme hat oder bei einem Partner wahrnimmt, bin ich, wie immer, offen für Zuschriften.
Liebe Grüße
Roland
_________
*denn Angst ist sicherlich auch mal ein guter Ratgeber
